Soll einer diese Leser verstehen: Da haben Sie sich als Autor schon so oft die Zeit genommen und alle erdenkliche Mühe gemacht, Ihre Botschaft in wohl gewählte Worte zu gießen und sie der Welt zur Verfügung zu stellen. Sie machen Ihrem Publikum damit ein wunderbares Angebot, darauf müssen sich doch alle stürzen.
Doch was tun die? Nichts. Die lassen Ihren Blog, Ihren Artikel, Ihr Buch links liegen. Kaum jemand nimmt Notiz, geschweige denn liest von vorne bis hinten, was Sie geschrieben haben. Warum nur?
Von wegen Angebot …
Ich möchte Sie zu einem Perspektivenwechsel einladen. Aus einem anderen Blickwinkel werden Sie Ihren Leser besser verstehen – und ihn besser verstehen heißt auch, dass Sie verstehen, wie Sie ihn endlich packen können, diesen begeisterungslosen Gesellen. Also los!
Sie sagten gerade, Sie machen Ihrem Leser ein wunderbares Angebot. Ist das wirklich so? Ist es nicht vielmehr so, dass Sie ihm mit einer dreisten Forderung gegenüber treten? Sie sind es doch zunächst, der etwas von ihm will, nicht er von Ihnen. Erschwerend kommt hinzu, dass das, was Sie fordern, ist so ziemlich sein wertvollstes Gut: Es ist seine Zeit.
Mehr als Geld
Für den modernen Menschen ist Zeit nicht mehr nur Geld wert. Zeit ist mehr. Uns gilt Zeit als das Synonym für Lebensqualität. Verlorene Zeit scheint uns unersetzlich, Zeitverschwendung eine Todsünde, die wir uns auf dem Sterbebett dereinst werden reuevoll selbst beichten müssen.
Wir wissen Zeit mehr zu schätzen als jede Generation vor uns – denn gefühlt haben wir so viel weniger Zeit als diese. Das ist paradox, weil wir im Schnitt deutlich länger leben als noch unsere Großeltern. Objektiv haben wir also mehr davon, subjektiv sieht das anders aus. Vielleicht liegt das daran, dass das, was wir glauben, in dieser Lebenszeit alles erledigen zu müssen, immer mehr geworden ist …
Notstandsmaßnahmen
Doch ich will Sie gar nicht weiter in eine Diskussion verstricken, wo unsere vermeintliche Zeitnot herkommt. Gefühlt ist diese Not jedenfalls da und daher ist es nur zu verständlich, dass auch Ihr Leser seine Zeit ausschließlich auf Dinge verwenden möchte, die es ihm wert sind. Die für ihn einen Wert darstellen. In Sachen Zeit sind wir alle hemmungslose Egoisten geworden.
Aus diesem Grund tritt Ihnen Ihr Leser auch so misstrauisch gegenüber, wenn Sie einfach so mir nichts, dir nichts daher kommen und ein Stück von dem wertvollsten, weil rarsten und vergänglichstem seiner Besitztümer fordern. So gesehen sind Sie ganz schön frech, finden Sie nicht?
Nur Komparative, bitte
„Aber wieso?“, könnten Sie mir antworten und fortfahren: „Mein Leser bekommt doch einen großartigen Gegenwert: Meine Botschaft macht ihn …“ (Hinweis: Hier setzen Sie den Komparativ ein, der den Gewinn für Ihren Leser am besten beschreibt, zum Beispiel: glücklicher, schlauer, schöner, freier, fröhlicher, zufriedener)
Bestimmt fällt Ihnen noch mehr ein, vielleicht etwas, was Ihr Leser ganz speziell aus Ihrem Text als Nutzen ziehen kann. Wenn Ihnen diese Beschreibung leicht gefallen ist, dann dürfen Sie getrost Schritt 1 der folgenden Anleitung überspringen. Wenn nicht, dann lesen Sie hier weiter, denn so erfahren Sie, wie Sie Step-by-Step absichern, dass Ihr Leser diesmal sein Misstrauen überwindet und Ihnen freudig seine Zeit schenkt …
Schritt 1: WAS hat er davon?
Definieren Sie möglichst klar und eindeutig, welche Relevanz Ihr Text für Ihr Publikum hat. Hat Ihr Leser ein Problem, das Sie lösen könne? Hat er eine Frage, die Sie beantworten? Vertreten Sie einen Standpunkt, den er spannend findet?
Bitte achten Sie darauf, dass Ihr Publikum das Interesse nicht Ihrer Ansicht nach haben soll – auch wenn Sie gute Gründe dafür ins Feld führen können. Wenn Sie nichts ansprechen, an was der Leser von sich aus Interesse hat, werden Sie es mit Ihrem Text nicht wecken können. Denken Sie daran: Er ist ein Egoist und springt nur auf das an, was ihm attraktiv erscheint.
Gut, haben Sie es? Prima, dann können Sie zu Schritt 2 übergehen.
Schritt 2: WIE erfährt er davon?
Dass Sie nun wissen, was Ihr Leser für einen Nutzen hat, ist gut und schön. Nur weiß er es deshalb noch lange nicht. Es nützt auch wenig, dass Sie Ihrem Leser in bester Absicht zurufen: „Das ist für dich wichtig, mein Lieber.“ Denn warum sollte er Ihnen glauben? Er kennt Sie ja gar nicht. Und darüber hinaus sind Sie nicht der Einzige, der da ruft. An jeder Ecke, auf jedem Display, aus jedem Schaufenster, von jedem Plakat grölt es – mal aufdringlicher, mal zurückhaltender – herunter: „Schau mich an, ich bin für dich wichtig.“
Und jedem Ruf widmet der Leser höchstens eine winzige Zeitspanne, um zu entscheiden: Will ich mich noch ein klein wenig weiter damit befassen, weil da mutmaßlich was drin steckt für mich, oder nicht? Auf das Stichwort „ist wichtig“ reagiert er schon lange nicht mehr. Er will mehr. Er will das richtige Stichwort von Ihnen hören!
Und was das richtige ist, haben Sie ja inzwischen erfahren: Es ist der Begriff, der das Problem, die Frage, das Anliegen des Lesers am besten trifft. Geben Sie sich deshalb viel Mühe damit, solche Schlüsselbegriffe zu finden. Die signalisieren dem Egoisten: Hier ist was für dich zu holen. Das ist das einzige Argument, dass ihn dazu verleitet, an die ersten drei Sekunden noch weitere dran zu hängen. Der richtige Begriff muss ihn in der minimal kurzen Zeit des ersten Checks erreichen …
Schritt 3: WO erfährt er davon?
Logisch, wo so ein Schlüsselbegriff auftauchen muss: In dem Stück Text, der sofort ins Auge fällt. Das ist der Titel. Wenn in Ihrem Titel nichts auftaucht, was Ihren Leser in seinem egoistischen Verlangen anspricht: Vergessen Sie’s. Mit Ihrem Titel steht und fällt seine Gnade. Nicht umsonst widmen wir von Gorus zu diesem Thema ein tagesfüllendes Seminar an – diese Investition zahlt sich X-fach aus.
Doch glauben Sie nicht, dass Sie mit einem guten Titel Ihren Leser schon für den Rest des Textes in der Tasche haben: Das Egoisten-Prinzip setzt sich von Sekunde zu Sekunde fort, bis tief in den Text hinein fort. Denken Sie also bei jedem Satz, bei jedem Absatz, bei jedem Abschnitt oder Kapitel daran: Ihr Publikum braucht einen eigennützigen Grund zum Weiterlesen. Geben Sie ihm den und es wird Ihnen folgen. Garantiert!
Denn zu Ihrem Autorenglück ist Ihr Leser ja Egoist durch und durch.