Von der Tragik eingeschlafener Füße

„Und? Wie findest du meinen Text?“

„Oh, sehr interessant.“

„Findest du ihn gut zu lesen?“

„Ja, doch. Also, zumindest relativ für das Thema – das ist ja nicht so ganz leicht. Und schließlich willst du ja keinen Roman schreiben, sondern einen Sachtext.“

„Du willst mir also sagen, dass es nicht gut zu lesen ist.“

„Nein, nein. Du hast die Worte sorgfältig gewählt, die Sätze sind grammatikalisch alle richtig, Schreibfehler habe ich auch keine gefunden … Du hast dir viel Mühe gegeben, das merkt man schon.“

„Aber?“

„Aber irgendwie ist es – entschuldige meine Offenheit – langweilig.“

Oh je. Langeweile ist das Todesurteil für jeden Lesewillen. Dabei haben Sie so viel Zeit und Mühe aufgewendet, um Ihre Inhalte fein säuberlich aufzubereiten und niederzuschreiben. Und es ist einfach tragisch, dass die Welt nun nicht mitbekommt, was Sie zu sagen haben – nur weil ihr vor Langeweile schon auf Seite 2 die Füße eingeschlafen sind.

Wie wäre es, wenn Sie als Autor diese Tragik vermeiden könnten?

Ihre Optionen wider die Tragik

Aus meiner Sicht gibt es dafür nur drei Möglichkeiten:

  1. Sie werden Universitätsprofessor und machen den Prüfungserfolg für Ihre Studenten gnadenlos von der Lektüre Ihres Buches abhängig.
  2. Sie geben Ihrem Leser ein so großes Versprechen, dass der gewillt ist, unter Aufbietung aller Kräfte der Langeweile zu trotzen: Das geht, wenn Sie ihm zum Beispiel die Weltformel in Aussicht stellen können oder er in emotionaler Abhängigkeit von Ihnen lebt.
  3. Sie schreiben einen Text, der nicht langweilig ist.

Ich gebe zu: Alle drei Methoden erfordern einen gewissen Aufwand. Urteilen Sie selbst, welcher Weg Ihnen für sich der gangbarste scheint. 

Eines möchte ich Ihnen jedoch zu bedenken geben: Die Zahl der Leser, die Sie mit den ersten beiden Optionen erreichen, ist begrenzt. Sie können pro Semester höchstens ein paar hundert Studenten knebeln. Die Zahl derer, die Sie emotional knebeln können, liegt wahrscheinlich noch deutlich darunter. Und selbst für die Weltformel nimmt wohl nur ein überschaubarer Kreis an Rezipienten die Tortur auf sich, einen sterbenslangweiligen Text zu ertragen.

Ist es also Ihr Anliegen, dass das, was Sie zu sagen haben, möglichst viele oder zumindest die entscheidenden Menschen erreicht, dann empfehle ich Ihnen: Wählen Sie die dritte Variante. Erarbeiten Sie Texte, bei denen Ihr Leser nicht eine Sekunde daran denkt, dass er auch aufhören könnte zu lesen. Am besten ärgert er sich sogar, wenn ihn etwas oder jemand beim Lesen stört, und schaut mit gekrauster Stirn auf. Er setzt den Finger an die Stelle im Text, an der er unterbrochen wurde, denn es ist keine Frage: Sobald diese lästige Unterbrechung beendet ist, will er hier weiterlesen. Unbedingt.

Doch wie erreichen Sie das?

Die Hebel der Variante 3

Die Antwort darauf ist – oh je, oh je – langweilig, weil banal: Alles, was Sie tun müssen, ist Ihren Leser zu fesseln. 

Doch schon die Antwort auf die Folgefrage: „Und wie fessele ich meinen Leser?“, ist weit weniger banal, weil ausgesprochen vielschichtig. Es gibt eine Menge Hebel, die Sie als Autor bewegen können, um Ihren Leser an Ihre Worte zu binden und bei der Stange zu halten. Und um an diesen Hebel zu ziehen, bedarf es weder der Raketenwissenschaft, noch ist es eine Angelegenheit für Genies – es ist zum größten Teil „nur“ Handwerk. Ein Handwerk, das Sie Schritt für Schritt lernen und üben können.

Welche Hebel Sie bei diesem Handwerk in welche Richtung wann und wie bewegen: Davon erfahren Sie unter anderem in diesem Blog vieles. Wenn Sie fesselnd Schreiben lernen, bringt Sie das übrigens nicht nur bei Ihren Texten spürbar voran: Wann und wo immer Sie Ihre Inhalte vermitteln und Menschen überzeugen wollen – mit diesem Wissen im Hintergrund werden Sie dabei mehr Erfolg haben.

Zugegeben: Es ist eine Herausforderung, doch die ist machbar. Viele Autoren von Sachtexten stehen jedoch vorab noch vor einer ganz anderen Herausforderung …

Die Tragik des Anspruchs

Sie tun sich hart, sehr hart! Sie wehren sich nach Kräften! Sie können und wollen es einfach nicht anerkennen! Sie klammern sich fest an ihrer Überzeugung, dass sie das Handwerk des fesselnden Schreiben für Sachtexte nicht brauchen. Nicht brauchen wollen. Nicht brauchen dürfen. Bei Stichworten wie Dramaturgie, Inszenierung und Leserführung fallen bei ihnen donnernd die Rollläden herunter. 

Solche Begriffe sind für sie gleichbedeutend mit Theater. Mit unseriöser oder zumindest anspruchsloser Vermittlung von wohlfeilen Gedanken und bestenfalls noch Emotionen – aber nicht von ernsthaften Inhalten. Sie fürchten den Vorwurf der Effekthascherei und der Oberflächlichkeit. Sie glauben, dass sie nicht ernst genommen werden, wenn sie 

  • ihr Werk nach dramaturgischen Prinzipien konzipieren,
  • ihre Inhalte inszenieren anstatt sie nüchtern-logisch abzuspulen,
  • darauf Rücksicht nehmen, welche Fragen der Leser sich stellt anstatt den vordergründigen Erfordernissen ihres Inhalts zu folgen. 

Und so scheitern diese Autoren nicht an der Herausforderung des Schreibens, sondern an ihren eigenen Vorurteilen. 

Eine Maxime bei Anglern heißt, dass der Köder dem Fisch schmecken muss und nicht dem Angler. Ich habe keine Ahnung vom Angeln, vom Schreiben dagegen schon. Und deshalb empfehle ich Ihnen: Wenn Sie etwas zu sagen haben, das Gehör finden soll, dann sorgen Sie dafür, dass das auch passiert. Werfen Sie die Tragik jeder Couleur über Bord und nutzen Sie das richtige Handwerkszeug, um Ihre Leser zu fesseln statt zu langweilen. Dann werden Sie gehört.